Hallo zusammen, letzten September habe ich in Poschiavo am Bahnhof diesen vorwitzigen Kerl getroffen. Ist es immer noch so, dass es nur Chorthippus eisentrauti sein kann oder muss man jetzt im Puschlav auch mit Ch. biguttulus rechnen (Er wollte leider nicht singen)?
Besten Dank im Voraus für Eure Meinung.

Liebe Grüsse, Jörg

Hallo Jörg

Die Männchen von Chorthippus biguttulus und Chorthippus eisentrauti lassen sich neben dem Gesang auch an der Ausbildung des Subcostalfeldes der Vorderflügel gut unterscheiden. Bei Ch. eisentraut wird dieses Subcostalfeld gleichmässig über die ganze Flügellänge breiter, bei Ch. biguttulus ist das Subcostalfeld in der Mitte am breitesten und wird dann zum Flügelende wieder leicht schmaler. Leider verdeckt auf dem vorliegenden Bild das Hinterbein die Vorderflügel und erschwert damit eine sichere Bestimmung. Nach dem sichtbaren Ende des Subcostalfeldes würde ich Ch. biguttulus ausschliessen.
Die Heuschrecken des Puschlavs dürften nach der Eiszeit von Süden her in das Tal eingewandert sein (im Norden liegt der 2235 Meter hohe Berninapass!!). Aus dem italienischen Veltlin sind mir keine rezenten Funde von Ch. biguttulus bekannt, die Art fehlt auch im Tessin! Im Puschlav wurden bisher nur Ch. eisentrauti beobachtet,
zusammen mit Chorthippus mollis. Ch. mollis hat einen ähnlichen Verlauf des Subcostalfeldes wie Ch. eisentrauti, die Kopfform des abgebildeten Tieres hat meiner Ansicht nach mehr Aehnlichkeiten mit Chorthippus mollis.

Mit besten Grüssen
Dieter

Lieber Dieter
Grossen Dank für Deine super Erläuterungen. Ich habe natürlich sofort die anderen Bilder begutachtet, die ich von diesem Männchen gemacht habe und bei einem sieht man das Subcostalfeld recht gut. Meines erachtets ein klarer Fall von Chorthippus eisentrauti. Und klar, der Schlüssel im Buch "Die Heuschrecken der Schweiz" bringt diesen Unterscheidungspunkt, nur müsste man ihn auch lesen .....

Herzlichst, Jörg

Hallo Jörg

Deine Antwort hat sich mit der Korrektur meines Beitrages gekreuzt. Chorthippus eisentrauti hat nämlich grosse Ähnlichkeiten mit Chorthippus mollis. Beide Arten haben ein Subcostalfeld, das sich zur Spitze hin kontinuierlich erweitert. Die schlanke Kopfform erinnert mehr an Chorthippus mollis, 100% sicher bin ich mir aber nicht.

Herzliche Grüsse
Dieter

Lieber Dieter
Je länger ich die Bilder betrachte, umso unsicherer werde ich! Auf dem beigefügten Bild sieht man das Costalfeld relativ gut und ich habe den Eindruck, dass es nach hinten doch ein markante Verjüngung des Flügels gibt, was für Ch. eisentrauti sprechen würde. Das zweite, grüne Tier (aus dem Wallis), das eindeutig als Ch. mollis insignifer identifiziert werden konnte, zeigt das klar weniger. Wenn ich aber die Bilder im Wiki anschaue, bekomme ich den Eindruck, dass es hier fast fliessende Übergänge gibt betreffend dieses Merkmales. Hätte das Tier doch bloss gesungen!
Herzlichst, Jörg

Hallo Jörg

Ich habe die sehr lesenswerte Arbeit von Ingrisch zur Unterscheidung der Arten innerhalb der Chorthippus biguttulus-Gruppe (mit Ch. eisentrauti und Ch. mollis) studiert:
Sigfrid Ingrisch (1995): Evolution of the Chorthippus biguttulus group (Orthoptera, Acrididae) in the Alps, based on morphology and stridulation. Revue Suisse de Zoologie, 102 (2): S. 475-535.
Internet: https://www.researchgate.net/publicatio ... ridulation
Darin veranschaulicht er sehr schön die Variabilität der Arten innerhalb dieser erdgeschichtlich jungen Gruppe und untersucht verschiedene Kriterien zur Unterscheidung der Arten.
Ein Kriterium ist die Länge der Vorderflügel in Relation zur Länge der Hinterschenkel. Ich habe dein Bild ausgemessen und erhalte einen Wert von 1.32. Dieser Wert entspricht eher Chorthippus mollis ignifer, bei Chorthippus eisentrauti treten aber ganz selten auch Individuen mit diesem Wert auf.
Ein weiteres Kriterium ist die Breite des Costalfeldes (an der weitesten Stelle) in Relation zur Breite des Subcostalfeldes an diesem Ort. Das Ergebnis von 2.18 liegt in der Variationsbreite beider Arten (Ch. mollis ign. und Ch. eisentrauti).
Fazit der Studie: Nur der Gesang ermöglicht eine sichere Bestimmung der Arten.
Mit besten Grüssen
Dieter

Lieber Dieter
Dann hätte ich doch erst den nächsten Zug nehmen sollen, irgendwann hätte er sicher gesungen!
Dir ganz herzlichen Dank für die vielen Infos und die grosse Mühe, die Du Dir gegeben hast, um so vertieft in die Literatur einzutauchen. Ich habe sehr viel gelernt.
Herzlichst, Jörg